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Smart Running: Laufen ist gesund! … Aber, wie laufe ich gesund?
Ausdauertraining hat erstaunlich positive Auswirkungen auf Körper und Psyche. Dies konnte in vielen Studien eindrucksvoll belegt werden. Es verbessert nicht nur die Gesundheit, die Vitalität und die Lebensqualität, sondern kann sogar das Leben deutlich verlängern. Laufen ist die natürlichste und einfachste Form des Ausdauertrainings. Die evolutionäre Entwicklung des Menschen ist die des Läufers. Die Fähigkeit lange Strecken zu laufen, sicherte dem Menschen in prähistorischen Zeiten das Überleben als Jäger und Sammler.
Bewegungsmangel, Übergewicht und Stress sind die wichtigsten Merkmale einer ungesunden Lebensweise in heutigen Zeiten. Die Folge ist die dramatische Zunahme sogenannter Zivilisationskrankheiten. Das Auto fährt uns von A nach B und der Fahrstuhl von unten nach oben. Der Tisch ist stets reich gedeckt. Die Lebensmittelindustrie entwickelt mit hohem finanziellen Aufwand ausgeklügelte Methoden, mit denen sie uns verführt mehr zu essen, als wir eigentlich brauchen. Die Nahrungsmittel, die uns angeboten werden, enthalten oft wenig Nährstoffe, dafür umso mehr einfache Kohlenhydrate und minderwertige Fette. Sie versprechen eine schnelle Befriedigung und schüren das Verlangen nach mehr. Wir arbeiten von morgens bis in die Nacht. Über unsere Smartphones sind wir ständig verfügbar und stets auf dem Sprung. Momente der Ruhe und Besinnung werden als unangenehm, unproduktiv oder als Faulheit wahrgenommen. Dafür zahlen wir mit unserer Gesundheit: Herzerkrankungen, chronische Rückenschmerzen, Adipositas, Diabetes, Burn-Out, Depression und viele andere Erkrankungen.
Der Gegenentwurf zu dieser Lebensweise ist die Fitnessbewegung. Die Ziele, Motive und Interessen sind hier jedoch sehr vielfältig und widersprechen sich teilweise. Die Steigerung von Wohlbefinden und Lebensfreude, die Stärkung von Vitalität und Leistungsfähigkeit, die Förderung der Gesundheit, sich im sportlichen Wettstreit beweisen sowie das Streben nach einem ästhetischen Körperideal sind einige der individuellen Antriebsquellen. Auf gesellschaftlicher Ebene stehen der Erhalt der Arbeitskraft, die Förderung der Produktivität und vor allem die Eindämmung der ausufernden Krankheitskosten im Vordergrund. Nicht zuletzt ist die Fitnessbranche ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Schon die alten Römer wussten um den Zusammenhang zwischen einem gesunden Körper und einem gesunden Geist: Mens sana in Corpore sano. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten viele Erkenntnisse über die große Bedeutung von Bewegung für unser Leben in allen Altersgruppen gewonnen. Bewegung hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen entscheidenden Einfluss. Ein angepasstes körperliches Training ist auch im hohen Alter sinnvoll und führt zu vielen positiven Effekten. Ein Slogan bringt es auf den Punkt: turne bis zur Urne!
Die Realität ist jedoch eine andere. Nach einer Umfrage von 2013 der Techniker Krankenkasse zum Bewegungsverhalten machen 52% der Deutschen nie oder selten Sport. In der gleichen Umfrage von 2007 waren es noch 45%. Das Problem des Bewegungsmangels nimmt also eher zu als ab. Besonders ausgeprägt ist der Bewegungsmangel in der Altersgruppe von 36 bis 45 Jahren. Im Bewegungsverhalten der Befragten gibt es deutliche Geschlechtsunterschiede. Der Bewegungsmangel besteht bei Frauen und Männern, ist bei den Männern aber deutlich ausgeprägter. Im gemäßigten Gesundheitssport ist der Anteil von Frauen besonders hoch. Im intensiven und Wettkampf orientierten Sport ist hingegen der Anteil der Männer sehr hoch. Von den Personen, die regelmäßig sportlich aktiv sind, investieren 27% ein bis drei Stunden pro Woche in den Sport, 13% drei bis fünf Stunden und 6% fünf Stunden und mehr.
Anreize, Angebote und Möglichkeiten für Bewegung und Training gibt es inzwischen reichlich. Das Lauftraining nimmt hier eine besondere Stellung ein. Laufen ist die natürlichste Form der Bewegung, die jeder beherrscht. Es bedarf wenig Ausrüstung. Ein geeigneter Parcours findet sich vor jeder Haustür und Laufen ist zu jeder Jahreszeit möglich. Mit Laufen lässt sich in kurzer Zeit ein effektives Training durchführen. Wer in einer Läufergruppe schwitzend durch den Wald läuft, erlebt das archaische Gefühl der Verbundenheit mit anderen in der Bewegung. Der Alltagsstress entfernt sich, und wir können für Momente wieder zu dem werden, der wir einmal waren: der Urmensch in seiner Horde.
Laufen ist sehr beliebt in allen Alters- und Leistungsklassen. Nach Angaben des Deutschen Leichtathletik Verbandes laufen in Deutschland etwa 19 Millionen Menschen, davon 8 Millionen regelmäßig. Die Anzahl der Läufer nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Es gibt 3900 Lauftreffs, in denen Läuferinnen und Läufer mindesten einmal in der Woche gemeinsam laufen. Es laufen ungefähr gleich viele Frauen wie Männer. Die Hälfte der Läufer ist zwischen 30 und 50 Jahre alt. Je ein Viertel ist älter als 50 oder jünger als 30 Jahre. Im Jahr 2013 gab es 3613 Volksläufe, an denen insgesamt 2.248.241 Läufer teilnahmen, davon absolvierten etwa 110.000 einen Marathon. Der Anteil der Männer an den leistungsbetonten Volksläufen beträgt 75% und der der Frauen 25%.
So weit, so gut. Aber, es ist leider nicht so einfach, wie es scheint. Wer den natürlichen Bewegungsdrang in sich selbst wiederentdeckt und zum Laufen gefunden hat, dem stellt sich sogleich die nächste Frage: Wie laufe ich gesund? Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich. Im Rahmen der Kopenhagener Herzstudie, die vom Kardiologen Peter Schnohr geleitet wird, werden seit 1976 19.329 Männer und Frauen regelmäßig auf ihre Gesundheit und ihre Lebensgewohnheiten untersucht. Von 2001 bis 2013 wurden 1098 Läufer und Läuferinnen aller Altersgruppen mit 413 gesunden Nichtläufern, die sich auch sonst wenig bewegen, verglichen. Die Studie wurde methodisch sehr sorgfältig durchgeführt. Die Daten wurden prospektiv im Rahmen einer Längsschnittstudie erhoben. Mögliche Faktoren, die das Ergebnis verfälschen könnten, wie Vorerkrankungen und ungesunde Verhaltensweisen, wurden berücksichtigt. Die Studie fand in Fachkreisen große Beachtung und gilt als richtungsweisend für die Frage der angemessenen Dosierung von Ausdauertraining im Freizeitsport.
Das wichtigste Ergebnis ist: Regelmäßiges Laufen verlängert das Leben sehr deutlich. Bei den Männern sind es im Mittel 6,2 und bei den Frauen 5,6 Jahre. Die zweite sehr erfreuliche Nachricht ist: Dieser gesundheitliche Gewinn ist leicht zu erreichen. Die Läufer, die pro Woche 1:00 - 2:30 Stunden trainierten, dies auf 2-3 Einheiten verteilten und in einem langsamen bis moderaten Tempo liefen, erzielten die besten Ergebnisse hinsichtlich ihrer Lebensverlängerung. Die schlechte Nachricht ist: Wer mehr als 2:30 Stunden pro Woche oder in einem intensiven Tempo läuft, riskiert den Verlust des gesundheitlichen Gewinns. Wer sein Laufen richtig dosiert, kann seine Lebenserwartung gegenüber den Bewegungsmuffeln deutlich verlängern, durch eine Überdosierung diesen positiven Effekt jedoch wieder zunichtemachen. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch in anderen Studien, wie die Autoren betonen.
Ist also intensives und umfangreiches Laufen gefährlich? Diese Frage muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Aber es ist mit Risiken verbunden, die in etwa mit denen verglichen werden können, die aus einem Bewegungsmangel resultieren. Die Risiken intensiven und umfangreichen Laufens sind jedoch überschaubar und lassen sich durch gezielte Maßnahmen gut kontrollieren. Unter dieser Voraussetzung lassen sich zusätzliche und bedeutsame gesundheitliche Gewinne erzielen.
Anlässlich der weltweit enormen Zunahme von Krankheiten als Folge von falscher Ernährung und Bewegungsmangel hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2010 Empfehlungen zur Förderung körperlicher Bewegung definiert. Zu diesem Zweck wurden alle verfügbaren und qualitativ hochwertigen Studien zu diesem Thema von einem Expertenteam ausgewertet und in Form von Leitlinien zusammengefasst. Hinsichtlich der Dosierung von Umfang und Intensität liegen die Bewegungsempfehlungen der WHO deutlich über denen der Kopenhagener Herzstudie. Ursachen und Auflösung dieses Widerspruches werden in Kapitel 6 ausführlich behandelt.
Mit steigender Dosierung von Umfang und Intensität im Lauftraining nehmen nicht nur die gesundheitlichen Gewinne zu, sondern auch die Risiken. Das ist eine der zentralen Aussagen dieses Buches. Wer mit einer Trainingsbelastung läuft, die über der liegt, die in der Kopenhagener Herzstudie empfohlen wird, bekommt erhebliche Zugewinne an Gesundheit, Fitness und Leistungsfähigkeit. Diese Läuferinnen und Läufer sind aber gut beraten, ihr Lauftraining durch ein geeignetes Risikomanagement zu ergänzen.
Kern des Buches ist ein Test, der die Effekte des Lauftrainings abbildet. Es ist ein einfaches und effektives System der Belastungssteuerung, das Antworten auf die folgenden Fragen gibt: Wann ist mein Training effektiv? Wie entwickelt sich meine Fitness? Wann trainiere ich zu wenig und wann zu viel? Wann ist die Mischung aus Belastung und Erholung optimal? Wann ist mein Körper bereit für einen neuen Trainingsreiz, und wann braucht er Ruhe und Erholung? Es handelt sich also um eine Ampel für Läufer, die einem entsprechend der körperlichen Verfassung Signale für das Training gibt. Die Laufampel ist Teil des angesprochenen Risikomanagements. Zum Risikomanagement gehören die jährliche Untersuchung der Sporttauglichkeit, der Trainingsstopp bei Infekten und die Laufampel zur Belastungssteuerung im Training.
Wer läuft, wird in seinem Handeln von unterschiedlichen Motiven geleitet. Die Motive mögen zahlreich und individuell sein. Aber sie lassen sich grundsätzlich nach zwei Hauptkategorien unterscheiden. Ein Leitmotiv ist die Förderung und der Erhalt von Gesundheit und Fitness. Sie sind die Garanten für Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit im Alltag. Ein weiteres Leitmotiv ist die Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit, um im Wettstreit mit anderen zu bestehen oder um über sich selbst hinaus zu wachsen. Beide Motive, Gesundheit und Sportlichkeit, werden oft als Gegensätze wahrgenommen. Bei näherer Betrachtung sind sie aber untrennbar verbunden. Ein gewisser sportlicher Geist bringt Schwung in das Gesundheitstraining. Und wer in seinem sportlichen Streben die Gesundheit aus den Augen verliert, wird allenfalls kurz- aber nicht langfristig erfolgreich sein.
Entsprechend der beiden Leitmotive lassen sich Läufer zwei Hauptgruppen zuordnen: die Gesundheitsläufer und die ambitionierten Freizeitläufer. Sie unterscheiden sich nicht nur deutlich in ihrer Motivationsstruktur, sondern auch in ihrem Lauftraining und ihrem Risikoprofil. Für die Hälfte der Bevölkerung geht es erst einmal darum, zum Gesundheitssportler oder -läufer zu werden. Gesundheitsläufer stehen vor der Herausforderung, nicht in den Zustand der Bewegungsarmut zurückzufallen, den Sport regelmäßig auszuüben und langfristig in ihr Leben zu integrieren. Ambitionierte Freizeitläufer haben dieses Motivationsproblem nicht. Es tritt häufig aber wieder auf, wenn die Leistungen aufgrund von Krankheit oder Alter nachlassen und sie nicht mehr wie gewohnt mithalten können. Das motivationale Hauptproblem der ambitionierten Freizeitläufer ist jedoch, dass sie häufig in ihrem sportlichen Streben wichtige Aspekte ihrer Gesundheit ausblenden.
Das Laufen kann in seiner Wirkung mit einem sehr wirksamen Medikament verglichen werden. Und so kommt es wie bei einem Medikament auf die exakte Dosierung an, um die optimale Wirkung zu erzielen. Es stellen sich ebenso die Probleme der Über- oder Unterdosierung. Dies gilt für Anfänger wie für Profis. Die Dosierung will in jedem Training und in jeder Trainingswoche neu austariert und an den aktuellen Zustand des Organismus angepasst werden. Erfahrene Läufer wissen, wie schwierig es ist, immer wieder die passende Dosierung zu finden. Aber das Spiel mit der Dosierung macht das Laufen zusätzlich interessant und belebt das Training. So nutzen erfahrene Läufer die gesamte Bandbreite der Dosierung von Dauer und Intensität des Lauftrainings, um seine Effektivität zu steigern und sich durch das Training einen motivationalen Schub zu verschaffen.
In diesem Buch werden die Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu einem neuen Laufkonzept zusammengefügt, das Gesundheit und sportliche Leistungsfähigkeit eng und effizient integriert. Zu den wissenschaftlichen Disziplinen zählen die Sportphysiologie, die Trainingswissenschaft, die Gesundheitsforschung und die Psychologie. Die Sportphysiologie beschreibt, wie sich das Laufen auf den Organismus auswirkt. Die Trainingswissenschaft entwickelt und prüft Trainingsmethoden hinsichtlich ihrer Effektivität zur Steigerung von Fitness und sportlicher Leistungsfähigkeit. Die Gesundheitsforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sportliche Aktivität genutzt werden kann, um die Gesundheit zu erhalten, zu stärken und Krankheiten vorzubeugen. Die Psychologie weist Wege, wie Menschen angeleitet und motiviert werden können, ihr Verhalten so zu steuern, dass ihre Lebensqualität unter psychischen und gesundheitlichen Aspekten nachhaltig bewahrt und verbessert wird. Die Kernaussage des Buches kann mit dem Begriff "Smart Running" veranschaulicht werden. Das Ziel ist die Maximierung der gesundheitlichen Gewinne und die Optimierung einer nachhaltigen sportlichen Leistungsfähigkeit für alle Läufer, ob Anfänger, Gesundheitsläufer oder ambitionierte Freizeitläufer. Die Laufampel ist die verbindende Klammer zwischen den genannten wissenschaftlichen Disziplinen, Läufertypen und dem praktischen Training. Sie ist der Spiegel des Smart Running.
Das Buch spannt den Bogen von den wissenschaftlichen Grundlagen zum konkreten Handeln mit praktischen Anleitungen für das Training. Es richtet sich an Läuferinnen und Läufer oder diejenigen, die es werden wollen. Es richtet sich ebenso an Sportpädagogen und Trainer, die nach Anregungen für ihre Arbeit suchen. Laufen mit Köpfchen ist die Einladung, die wissenschaftlichen Erkenntnisse für ein schlaues und effektives Training zu nutzen. Für den internationalen Sprachgebrauch kann diese Maxime am besten mit dem Begriff "Smart Running" übersetzt werden.
Im Buch wird darauf Wert gelegt, komplexe Zusammenhänge einfach und anschaulich darzustellen und konkrete Handlungsanleitungen daraus zu gewinnen. Das Buch besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste Teil gibt einen anschaulichen Einstieg in das Smart Running. Im Mittelpunkt stehen die Geschichten der Gesundheitsläuferin Eva und des ambitionierten Freizeitläufers Michael. Beide sind auf ihre Art erfolgreich. Aber auf ihrem Weg zum Erfolg müssen sie einige Klippen umschiffen und Hürden überwinden. Den Geschichten vorangestellt ist die Einführung in die Funktionsweise der Laufampel. Beschrieben wird ihre Einbettung in die Trainingslehre und eine Strategie zur Optimierung von Nutzen und Risiken des Laufens. Die beiden Erfolgsgeschichten von Eva und Michael werden unter verschiedenen Gesichtspunkten kommentiert. Hier werden Aspekte des Trainings, der Gesundheit und vor allem der Motivation beleuchtet.
Im zweiten Teil stehen die praktischen Anleitungen und ihre wissenschaftlichen Grundlagen im Vordergrund. Vorgestellt wird ein Trainingskonzept in drei Stufen, dessen wesentlicher Teil die Laufampel ist. Für Gesundheitsläufer und ambitionierte Freizeitläufer werden detaillierte Anleitungen für das Lauftraining gegeben und die Steuerung des Trainings mithilfe der Laufampel beschrieben. Es werden ausführliche Antworten auf die folgenden Fragen gegeben:
- Zu welchen Veränderungen und Anpassungsprozessen führt das Lauftraining im Körper?
- Wie werden diese Veränderungen in der Laufampel abgebildet?
- Welches Training führt zu welchen gesundheitlichen Gewinnen?
- Welche motivationalen Hürden stehen der Realisierung der gesundheitlichen Gewinne im Weg?
- Wie motiviere ich mich für ein erfolgreiches Lauftraining nach den Grundsätzen des Smart Running?